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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2009

«Ich weiß, dass Tabak für andere Leute den Tod bedeutet, aber für uns bedeutet Tabak das Leben», erklärt Godfrey Chapola von der malawischen Tabakkontrollkommission vor laufender Kamera. Er spricht vom Leben der etwa 7 Millionen Menschen in Malawi, die ihren Lebensunterhalt durch Tabakanbau verdienen. Ein Leben, das gekennzeichnet ist von harter, ungesunder Arbeit, von Armut, von Schulden. Ein Leben in Schuldknechtschaft.
von Sonja von Eichborn

Malawi im Südosten Afrikas hat eine Fläche von etwa einem Drittel Deutschlands und ist der größte Tabakproduzent auf dem afrikanischen Kontinent. Für den Anbau von Tabak werden über 3% der Agrarflächen verwendet, mehr als in irgendeinem anderen Land. Mit Tabak als wichtigstem Devisenbringer werden ca. 65% der gesamten Exporterlöse des Landes erzielt. Malawi ist faktisch abhängig von Rohtabakhändlern und von Zigarettenkonzernen wie Philip Morris (Marlboro) oder Japan Tobacco International (Camel).

Malawi ist kein Einzelfall. In 126 Ländern wird Tabak angebaut, mehr als 80% des weltweit gehandelten Tabaks wächst in Ländern des Südens wie Brasilien, Indien oder Malawi. Die Produktion wurde, wie in anderen Branchen auch, dorthin verlagert, wo es billige Arbeitskräfte in großer Anzahl gibt. Nur so können die Tabakkonzerne ihre hohen Profite erzielen. Denn Tabakanbau benötigt zehnmal mehr Arbeitskraft als der Anbau von Weizen. Alle Arbeitsschritte sind von Hand zu tun: Vom Saatbeet bis zur Ernte und der anschließenden Auftrocknung werden pro Hektar etwa 250.000 einzelne Blätter bearbeitet.

Tabak benötigt viel Pflege, viel Dünger und viele Pestizide. «Die [Tabakpflanzen] wachsen buchstäblich im Gift», erklärt José Puchkovski aus Brasilien und zeigt auf die Reihen von Saatbeeten vor ihm. Die Pestizide haben ihn so krank gemacht, dass er eines Tages versuchte, sich damit zu vergiften. Er hat überlebt, andere nicht.

Die Selbstmordrate in Brasiliens Tabakregion im Süden ist siebenmal höher als im Landesdurchschnitt. Nicht nur die Chemikalien machen die Arbeit auf dem Tabakfeld gefährlich. Es ist auch die Pflanze selbst: Das Nikotin aus den grünen Blättern dringt durch die Haut direkt in die Blutbahn. In der Erntezeit erkranken die Bauern und Bäuerinnen häufig an einer Nikotinvergiftung, der Green Tobacco Sickness. Sie leiden unter Schwindel- und Schwächeanfällen, Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Besonders betroffen von den Gesundheitsgefahren sind Frauen und Kinder, die auf Tabakplantagen arbeiten.

Für Frauen gibt es während der Schwangerschaft und rund um die Geburt keinerlei Schutz. Die Folge sind Fehlgeburten, Fehlbildungen der Extremitäten der Kinder und eine erhöhte Neugeborenensterblichkeit. Für Kinder bedeutet die Arbeit im Tabakanbau eine stete Gefährdung. Wer würde in unserem Land ein Kind mit Unkrautvernichtern oder Schneckenkorn hantieren lassen? Wer würde ein Kind täglich die Nikotindosis von zwei Schachteln Zigaretten einnehmen lassen – soviel wie während der Erntezeit auf den Feldern?
Oder viel allgemeiner: Warum müssen schwangere Frauen und Kinder im Tabakanbau arbeiten? Warum lassen sich die Menschen auf diese gesundheitsschädlichen cash crops [Feldfrüchte, die für den Export angebaut werden] ein? Haben sie keine andere Wahl?

Schuldknechtschaft
In Malawi haben die meisten Tabakbauern keine andere Wahl. Die Abhängigkeit des Staates von den Deviseneinnahmen aus Tabak bedeutet, dass von dort keine Initiativen für Veränderungen zu erwarten sind. Mit Unterstützung des IWF und der Weltbank und in Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie wurde der Tabaksektor bis zur Mitte der 90er Jahre massiv ausgebaut. Heute besitzen viele Regierungsmitglieder Tabakplantagen und wollen selbstverständlich Gewinne machen. Die Leidtragenden sind die Bauernfamilien, die den Tabak anbauen müssen.

Aufgrund der ungleichen Landverteilung und der hohen Arbeitslosigkeit in den Dörfern von Malawi sind einzelne und ganze Familien gezwungen, ihre Arbeitskraft auf Tabakplantagen zu verkaufen. Landlose Bauern werden von Großgrundbesitzern angeworben.

Es klingt verlockend: Sämtliche Produktionsmittel (Saatgut, Dünger, Pestizide, Arbeitsgeräte) sowie Nahrung werden vom Landlord vorgestreckt. Die Pächter können auch Kredite (z.B. für Medikamente) vom Landlord erhalten. Da viele Bauern weder lesen noch schreiben können, werden die Verträge mündlich abgeschlossen. Am Ende der Saison, nach der Versteigerung des Rohtabaks auf den Auktionen wird abgerechnet: der Preis für den Rohtabak gegen die Inputs, Nahrung und Kredite. Und es folgt ein böses Erwachen: Nach einer Saison sind die Pächter schon hoch verschuldet. Die eingesetzten Mittel werden zu überhöhten Preisen abgerechnet, für die Kredite werden horrende Zinsen fällig und die Rohtabakpreise sind extrem niedrig. Und es gibt keine vertragliche Handhabe.

Selbst wenn ein Pächter etwas Geld bekommt, ist ein neuer Kredit überlebensnotwendig – aufgenommen beim Landlord, denn auf dessen Grund steht ja sein Haus. Die Pächter befinden sich von nun an in einer Schuldknechtschaft, aus der es kaum einen Ausweg gibt.

«Wir verdienten zwar 6600 Kwacha (ca. 60 Euro), aber das ganze Geld wurde verwendet, um die Schulden zu bezahlen. Für drei Jahre (1998–2000) haben wir insgesamt nur 50 Euro verdient», erklärt die Pächterin Margaret Ozimba. Ein anderer Pächter verdiente im Jahr 2008 etwa 35 Euro – für das Jahresgehalt von Philip-Morris-Chef Louis Camilleri müsste er mit seiner Familie 240.000 Jahre arbeiten.
Wieder andere Tabakbäuerinnen aus dem Distrikt Kasungu erzählen: «Wir müssen uns um Mais- und Tabakfelder kümmern. Aber den Mais dürfen wir nicht einfach essen, sondern müssen ihn für 1000 Kwacha [etwa 5 Euro] pro Eimer wieder abkaufen.»

Monopolpreise
Die Großgrundbesitzer klagen selbst über die niedrigen Rohtabakpreise auf den Auktionen. Tatsächlich sinken die Erzeugerpreise ins Bodenlose. Daran ist einerseits eine von der Tabakindustrie geförderte Überproduktion schuld, andererseits die Preisabsprachen zwischen den Aufkäufern.

In Malawi – analog zum Weltmarkt – teilen sich zwei US-Konzerne den Rohtabakmarkt: die Universal Corp., in Malawi vertreten durch ihre Tochterfirma Limbe Leaf Tobacco, und Alliance One. Immer wieder werden Vorwürfe gegen die beiden Händler wegen Kartellbildung laut, Auktionen werden wegen Protesten gegen die niedrigen Preise geschlossen. 2008 versuchte Präsident Bingu wa Mutharika erfolglos, die Aufkäufer dazu zu bringen, angemessene Preise zu bezahlen. Dieses Jahr legte er Mindestpreise für Burley- und Virginia-Tabak fest und verwies im September vier Vertreter der Rohtabakfirmen des Landes, nachdem sie die Preise weiter nach unten gedrückt hatten.

Trotz dieses Paukenschlags ist nicht mit einer durchgreifenden Einflussnahme der Regierung auf die Preispolitik der Tabakhändler zu rechnen, denn die personellen Verflechtungen sind eng. So sitzt z.B. der Geschäftsführer der Limbe Leaf in der staatlichen Tabakkontrollkommission, die den Tabakhandel bzw. das Auktionssystem regelt. Dies verhindert effektiv, dass andere Gremienmitglieder sich gegen die Tabakindustrie positionieren. Es verstetigt die Regierungspolitik, die Industrie mit billigem Tabak zu versorgen.

Das Pachtsystem ermöglicht es den Großgrundbesitzern allerdings, die Verluste nach unten weiter zu reichen. Dies verstärkt die Abhängigkeit der Pächter. Um Abhilfe zu schaffen und die Beziehungen zwischen Landlords und Pächtern zu regeln, legte die malawische Tabakpächtergewerkschaft TOTAWUM 1995 einen Entwurf für das Tenancy Labour Bill, das Pachtarbeitsgesetz, vor. Bis heute wurde dieser Entwurf im Parlament weder debattiert noch abgestimmt. Die Regierung ist fest im Griff der Tabakindustrie.

Kinderarbeit
«Wenn die Pächter angeworben werden, wird ihnen gesagt, dass jeder, der auf der Plantage lebt, arbeiten muss. Und nicht nur essen. Das heißt, sobald ein Pächter zu essen hat, geht er sicher, dass die Kinder für das Essen arbeiten», beschreibt Raphael Sandramu von der TOTAWUM die Situation.

Kinderarbeit ist ein weit verbreitetes Problem in der Tabakproduktion. Kinderarbeit bedeutet eine starke Gefährdung des physischen wie psychischen Wohls der Kinder. Sie sind Pestiziden und Nikotin ausgesetzt, sie haben lange Arbeitstage, an denen sie überlastet werden, sie bekommen zu wenig Essen und sie sind Misshandlungen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt.

«Ich stehe so um 4 Uhr morgens auf und beginne die Arbeit mit leerem Magen bis zum Mittag, wenn wir essen und dann zurück an die Arbeit gehen. Um 5 Uhr nachmittags machen wir Schluss. Abends müssen wir um Essen kämpfen», erzählt ein 13-jähriges Mädchen aus dem Distrikt Mzimba in Malawi. Kinderarbeit ist aber auch Diebstahl an der Zukunft. Wer auf dem Tabakfeld aufwächst, statt zur Schule zu gehen, hat kaum eine andere Perspektive, als später selbst Tabakbauer zu werden.

Malawi ist nur ein Beispiel für die profitablen Geschäfte der Tabakindustrie. In Brasilien gehen die Bauern direkte Verträge mit den Rohtabak- und Zigarettenkonzernen ein, in denen ihnen alles diktiert wird. Statt Rechte wie andere Angestellte (z.B. Krankenversicherung) zu erhalten, sind auch hier die Bauern nach einer Saison hoch verschuldet. In Indien ist vor allem die Bidi-Industrie (Zigaretten ohne Tabakanteil) ein lukratives Geschäft für einige wenige. In Tanzania werden ganze Landstriche verwüstet, wenn Tropenwald zur Gewinnung von Brennholz für den Trocknungsvorgang abgeholzt wird.

Die Kampagne Rauchzeichen! bietet ab Mitte September 2009 ihre Ausstellung «Big Tobacco: Profits & Lies» zur Ausleihe an. Die multimediale Ausstellung besteht aus 20 selbststehenden Tafeln der Größe 85x200cm sowie aus Dokumentarfilmen und Interviews mit Tabakarbeiter und Menschenrechtsaktivisten aus Malawi. Die Ausleihe ist kostenfrei. Lediglich der Transport zum Ausstellungsort und eine Versicherung über den Wert der Ausstellung müssen bezahlt werden.

Sonja von Eichborn ist Koordinatorin der Kampagne Rauchzeichen!, www.unfairtobacco.org, bei der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung BLUE 21.

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