Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010

von Angela Klein
Tagelang kam die Hilfe nicht an: wegen der verstopften Straßen, der mangelnden Infrastruktur, des Zusammenbruchs einer eh höchst fragilen öffentlichen Ordnung. Aber auch weil die US-Armee, die ab Donnerstag nacht den Flughafen besetzte, erst darauf bedacht waren, die militärische Kontrolle über die Hauptstadt zu übernehmen, bevor sie daran ging, Flugzeuge mit Hilfsgütern zu entladen. Französischen, italienischen, brasilianischen Transportmaschinen, sogar den Ärzten ohne Grenzen, verwehrten die US-Truppen die Landeerlaubnis in Port-au-Prince. Frankreich hat wegen der Einnahme des Flughafens offiziell bei der US-Botschaft in Paris protestiert und von der UNO eine Klärung des Sachverhalts verlangt. Die Staatschefs von Nikaragua und Venzuela haben von einer militärischen Besetzung Haitis im Windschatten der Katastrophe gesprochen.

Vier wertvolle Tage gingen auf diese Weise verloren, vier Tage ohne Wasser und Nahrung. Aber wehe, es macht sich ein Hungernder über einen eingestürzten Supermarkt her: Gewalt! Aufruhr! Bewaffnete Banden! Im Dunkeln der Nacht! Die ganze Kloake rassistischer Vorurteile gegen Haitianer kam wieder hoch: Voodoo, Sex & Crime. «Das Land hat eine beeindruckende Geschichte der politischen Gewalt», schrieb ein Korrespondent der BBC für internationale Entwicklung. Im US-Fernsehen. Auch deutsche Massenmedien betonten mehr die Gefahr, die von jugendlichen Banden und möglichem Aufruhr ausgehe, statt zu zeigen, wie Haitianer sich selbst versuchen zu helfen.

Für die Gerüchte fanden sich nur wenig Belege: Ein Fall wurde beschrieben, wo bewaffnete Jugendliche Menschen bedrohten, die sich aus einem eingestürzten Supermarkt bedienten und ihnen die Ware abnehmen wollten. Unweit davon saß ein GI im Auto - und schlief. Soviel zur Mission der nach Haiti entsandten US-Soldaten, Supermärkte zu bewachen!

Der Regionalkoordinator der Welthungerhilfe, Michael Kühn, vermittelte ein ganz anderes Bild: «Die Sicherheitslage ist erstaunlich ruhig, Plünderungen kommen nur sehr vereinzelt vor. Die Menschen sind immer noch traumatisiert. Trotzdem wollen die Haitianer mit anpacken und tun alles, um sich und andere aus dem Elend zu befreien.»

Sollten die Gewaltfantasien den Zweck haben, die internationale Öffentlichkeit psychologisch auf die Ankunft der US-Soldaten vorzubereiten? Und was tun 20.000 GIs in Haiti? Eigeninitiative von unten wollen die USA am wenigsten. Keine selbstorganisierte Struktur sollte das Machtvakuum füllen, das mit dem Einsturz der Regierung samt ihres Palastes verbunden war. Die gesamte US-Operation wird vom USSOUTHCOM geleitet, dem Kommando, das für alle militärischen US-Operationen in Zentral- und Südamerika verantwortlich ist.

Damit es nicht nach Besetzung aussieht, wurden auch die Schleusen der Hilfe geöffnet: Allein die Welthungerhilfe verteilt jeden Tag 2 Millionen Essensrationen, eine beeindruckende Leistung. Doch so richtig uneigennützig oder gar gepaart mit einem Umdenken in Bezug auf die Verschuldungs- und Privatisierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte scheint diese Hilfe, wenigstens von offizieller amerikanischer Seite, nicht.

Wie humanitär ist die Erklärung der US-Regierung, «illegal» eingereiste Haitianer würden vorerst nicht ausgewiesen, aber es dürften auf keinen Fall welche in die USA einreisen - wer es doch versucht, kommt nach Guantánamo!? Kanada, Frankreich, Großbritannien haben ähnliche «Angebote» gemacht. Ist es nicht beschämend, dass es das arme Senegal ist, das die Haitianer einlädt zu kommen? Sie würden auf jeden Fall Wohnung und Nahrung finden, kämen viele von ihnen, würde ihnen sogar ein eigenes Territorium zur Verfügung gestellt. Der Senegal ist fast doppelt so dicht besiedelt wie die USA und seine Einwohner im Durchschnitt 50mal so arm. Auf welcher Seite steht die Menschlichkeit?

Kuba hilft mit 400 Ärzten, ebensoviele Haitianer werden in Kuba zu Ärzten ausgebildet, Venezuela schickt Treibstoff – alles ohne Gegenleistung. Der IWF aber stellt seine 100-Millionen-Hilfe nur als zinslosen Kredit zur Verfügung, die Summe muss also zurückgezahlt werden. Wovon? Die Weltbank will den Schuldendienst 5 Jahre aussetzen und evtl. eine Teilschuld von 38 Mio. Dollar erlassen. Warum nicht alles? Warum wird die «Schuld» Haitis nicht sofort und bedingungslos gestrichen? Sie ist illegitim: Seit 200 Jahren zahlt Haiti dafür, dass es sich als erste Kolonie unabhängig gemacht und seine Sklaven freigelassen hat. Das war 1804 und hat das nachrevolutionäre Frankreich so erbost, dass es ihm eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet 21 Mrd. Dollar (nach heutigem Wert) aufgebrummt hat. Das war die Grundlage für den Gang des von Kolumbus einst als blühendes Paradies gerühmten Landes in Schuldknechtschaft, Armut, Entwaldung und Zerstörung der Landwirtschaft. Muss Frankreich nicht wenigstens diese 21 Mrd. an Haiti zurückzahlen?

Die US-Hilfe kommt auf Gewehrläufen. Selbstverständlich folgt sie dem Hilferuf des haitianischen Regierungschefs. Der arme Preval kann gar nicht anders, erdrückt wie er wird von so brüderlicher Umarmung. Breshnew lässt grüßen. Sie kommt auf Gewehrläufen, weil die USA nicht dulden, dass sich an der Macht der zehn reichen Familien, am Einfluss der großen Konzerne und an der Kontrolle der USA über ihren Hinterhof etwas ändert.

Und weil das eine einzigartige Gelegenheit ist, zwischen Kuba und Venezuela, direkt gegenüber der Guantánamo-Base, einen neuen US-Militärstützpunkt zu errichten. Dafür muss Haiti ein armes, abhängiges Land bleiben.

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