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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2018
Nestlé-Beschäftigte aus der ganzen Welt vor der Konzernzentrale in Vevey
von Hans-Gerd Öfinger*

Ein Hauch von Klassenkampf wehte am Dienstag durch das beschauliche, an der Sonnenseite des Genfer Sees gelegene Schweizer Städtchen Vevey, als gegen Mittag über 400 Beschäftigte deutscher Nestlé-Werke mit Fahnen und Transparenten vor der Zentrale des mächtigen Lebensmittelkonzerns aufmarschieren.
Auslöser ihres Protests ist die Absicht des Nestlé-Managements, den Konzern umzubauen und dabei allein in Deutschland rund 1000 Arbeitsplätze zu vernichten. Triebfeder ist das vom neuen Konzernchef Ulf Mark Schneider verkündete Renditeziel von 18,5 Prozent. Dies hat bei vielen Beschäftigten, die sich bislang stark mit dem Konzern identifizierten, das Fass zum Überlaufen gebracht. «Es geht denen nur noch um Kohle. Die aktuellen Pläne haben eine neue Dimension, die Stimmung der Beschäftigten ist auf dem Nullpunkt», so Andreas Zorn, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Nestlé Deutschland. «Wenn sie bei 18 Prozent angelangt sind, werden sie nicht aufhören, sondern die Rendite auf 19, 20, 22 Prozent und mehr steigern wollen», prophezeit Peter Schmidt, Referatsleiter Internationales der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), eine Spirale von Arbeitsplatzabbau, Umstrukturierungen und Arbeitsverdichtung.
Den Betrieben im baden-württembergischen Ludwigsburg und im bayrischen Weiding droht das Aus, während in Biessenhofen (Bayern), Singen (Baden-Württemberg) und Lüdinghausen (Nordrhein-Westfalen) Teilschließungen und massiver Personalabbau angekündigt wurden. Hinter dem verstärkten Renditedruck dürfte vor allem der Milliardär und Großaktionär Daniel Loeb stecken. Sein Hedgefond «Third Point» hat rund 3 Milliarden Euro in den Konzern investiert und will jetzt seine «Renditeerwartung in schwindelerregender Höhe» durchsetzen, so Uwe Hildebrandt, NGG-Chef im Landesbezirk Südwest.

Internationale Solidarität
Dass die deutschen Beschäftigten nicht allein betroffen sind, machen Solidaritätsbekundungen und Grußworte von Mitgliedern des Weltbetriebsrats deutlich, die den gemeinsamen Kampf gegen die Vorgaben der Konzernzentrale beschwören. Aktivisten der schweizerischen Partnergewerkschaft Unia bewirten ihre angereisten Kolleginnen und Kollegen und berichten gleichzeitig über harte Arbeitsbedingungen in der Kaffeeproduktion. «El pueblo unido jamás será vencido» (Das vereinte Volk wird nie besiegt werden), ruft ein lateinamerikanischer Gewerkschafter laut. Kämpferische Parolen kommen gut an.
Mit den längsten Weg nach Vevey zurückgelegt hat der Indonesier Fahmi Panimbang. Er überbringt die Solidarität von Gewerkschaftern aus Nestlé-Werken in der Inselrepublik und weist auf eine weitere Kehrseite des hohen Renditedrucks hin: die umweltzerstörenden Folgen der Produktion von Palmöl in riesigen Plantagen mit überwiegend prekären Arbeitsbedingungen. Palmöl ist ein wichtiger Rohstoff für die Lebensmittelproduktion, mit dem viele Beschäftigte auch bei Nestlé tagtäglich arbeiten.
«Wir sind Nestlé und nicht ihr», skandieren die Gewerkschafter an die Adresse des Konzernmanagements, das an diesem Tag ein Bad in der Menge scheut und stattdessen eine kleine Delegation empfängt. So nehmen Konzernpersonalchef Chris Johnson, ein US-Amerikaner, und andere ranghohe Manager hinter der Glitzerfassade am Seeufer einen von über 17000 Menschen unterzeichneten Aufruf entgegen. «Mensch vor Marge – Stoppen Sie die Pläne zum Personalabbau zur Steigerung des Gewinns auf Kosten der Beschäftigten», lautet ihre Forderung.
Ob der Sternmarsch zur «Höhle der Bestie», wie der frühere NGG-Bundesstreikbeauftragte Jürgen Hinzer formuliert, ausreicht, um die Maßnahmen abwenden? «Ich glaube nicht. Aber wir haben unsere Kraft, unsere Forderung und unseren Willen mit der sehr beeindruckenden Aktion unterstrichen. Das ist erst der Anfang», erklärt Korte-Grimberg.
So sieht es auch der Allgäuer Andreas Heinle. «Ohne Kampf kommen wir nicht weiter.» Heinle ist Betriebsratsmitglied im Werk Biessenhofen, wo Teilschließungen und ein massiver Personallabbau drohen. Er ist um 3 Uhr früh in den Bus gestiegen, um am Mittag vor der Konzernzentrale buchstäblich auf die Pauke zu hauen. «Es gibt nichts Schöneres, als hier zu stehen und diesem Konzern die Stirn zu bieten und zu sagen: So könnt ihr mit uns nicht umspringen», sagt er. «Alle Nestleaner, egal ob in Afrika, Asien, Australien, Amerika oder Europa, müssen zusammenhalten gegen diese Profitgier, die der Ultrakapitalismus dieser Welt auch Nestlé aufdrückt. Sonst werden wir alle daran zugrundegehen.»

* Zuerst erschienen in Neues Deutschland vom 4.10.2018.

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