Die Initiative ›Hamburg Enteignet‹ vom Verfassungsschutz verunglimpft
von Gaston Kirsche
Der Spruch aus dem Jahr 1849, als die Reaktion in Europa wieder im Vormarsch war, kommt einem in den Sinn, wenn man sieht, wie der Hamburger Verfassungsschutz sich müht, die Initiative »Hamburg Enteignet« als verfassungsfeindlich zu diskreditieren.
Am Samstag, dem 8.Oktober, wurde auch in Hamburg demonstriert im Rahmen der bundesweiten Kampagne unter dem Motto »Hände hoch – Mietenstopp!« Etwa 600 Demonstrierende zogen trotz Regen durch den von einer erneuten Gentrifizierungswelle überrollten Stadtteil St.Georg nahe des Hamburger Hauptbahnhofs. Mitveranstalterin war neben den beiden Hamburger Mietervereinen und der Mieterinitiative Steilshoop auch die vor einem Jahr gegründete, sehr agile Initiative »Hamburg Enteignet«.
Vorbild für »Hamburg Enteignet« ist die erfolgreiche Initiative »Deutsche Wohnen & Co Enteignen« aus Berlin, der es bei einem Volksentscheid im September 2021 gelang, mehr als eine Million Stimmen und eine Mehrheit von 59,1 Prozent für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne in Berlin zu erringen. In der Hansestadt war deren Erfolg vor einem Jahr der Anstoß, ebenfalls einen Volksentscheid zur Enteignung von Immobilienkonzernen anzugehen. Dass die Hamburger Demo um 13 Uhr am Berliner Tor startete und zum Rathaus führte, war da eine passende Symbolik.
»Hamburg Enteignet« begann Mitte September mit der Sammlung der benötigten 10000 Unterschriften. Erklärtes Ziel der Initiative ist es, die Vorgabe deutlich zu übertreffen und dann über die zweite Phase, das Volksbegehren, möglichst schnell zu einem Volksentscheid zu kommen, der parallel zur Bürgerschafts- oder Bundestagswahl 2025 stattfinden könnte. Am Rande der Demonstration wurde offensiv gesammelt.
Gefordert wird die Vergesellschaftung aller Wohnungen von privaten, profitorientierten Wohnungsunternehmen, denen mehr als 500 Wohnungen in Hamburg gehören. Das sind zwar nicht so viele wie in Berlin – in Hamburg gibt es mehr städtischen und genossenschaftlichen Wohnraum. Aber für die vergesellschafteten 70000–100000 Wohnungen könnten die Mieten direkt gesenkt werden und dauerhaft bezahlbar bleiben.
Über den Mietenspiegel und die Entspannung des übrigen Wohnungsmarkts würden nach Angabe von »Hamburg Enteignet« letztlich alle Mieter:innen profitieren. »Die Mieten in Hamburg haben sich seit 1999 um 59,3 Prozent erhöht. Allein im Jahr 2021 stieg der Mietspiegel um 7,3 Prozent. Die Löhne sind in der gleichen Zeit kaum gestiegen«, so »Hamburg Enteignet« in einer Erklärung vom September.
Die Arbeit der Dienste
Doch am gleichen Tag, an dem die Unterschriftensammlung erfolgreich startete, mischte sich der Inlandsgeheimdienst ein. Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz erklärte: »Die gewaltorientierte ›Interventionistische Linke‹ (IL) strebt zusammen mit anderen Gruppierungen eine Volksinitiative zur Enteignung privater Wohnungsunternehmen in Hamburg an.« Vor der IL warnte der Inlandsgeheimdienst in Hamburg bereits mehrfach: 2019 habe sie versucht, Fridays for Future durch eigene Aktivitäten zum Klimaschutz zu vereinnahmen, was der Verfassungsschutz erfolgreich verhindert habe.
Die Warnungen klangen schon damals so wie jetzt wieder: »Auch linksextremistische Gruppen wie die IL instrumentalisieren gesellschaftlich relevante, populäre und breit diskutierte Themen, um Bündnispartner auch unter demokratisch engagierten Gruppen zu finden. Und auch bei ›Hamburg Enteignet‹ ist die IL bzw. deren Mitglieder ein bestimmender Faktor.« Hamburgs meistgelesene Lokalzeitung Hamburger Abendblatt übernahm die Darstellung des Geheimdienstes und überschrieb den Artikel dazu so: »Vor Volksinitiative wird gewarnt.« Eine demokratische Unterschriftensammlung, fast so schlimm wie der Enkeltrick?
Wer bei der Initiative nachfragt, hört etwas ganz anderes: »Es ist ein Skandal, dass der Verfassungsschutz vor uns warnt. Wir nutzen mit der Volksinitiative ein demokratisches Mittel und beziehen uns mit unserer Forderung nach Enteignung großer, profitorientierter Wohnungsunternehmen auf das Grundgesetz«, erklärt Marco Hosemann, Vertrauensperson der Initiative, gegenüber dem Autor.
Anscheinend verpufft die Warnung des Inlandsgeheimdienstes angesichts der steigenden Mieten: »Die Menschen hält die Schmutzkampagne vom Verfassungsschutz nicht davon ab, sich weiter bei uns zu engagieren und unsere Volksinitiative zu unterzeichnen«, so Marco Hosemann, selbst Mitglied der Partei Die LINKE und Ko-Sprecher deren Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft Stadtentwicklung & Wohnen. »In der IL bin ich nicht«, erklärt er dem Autor. Und weiter: »Seit unserem Sammelstart am 15.September haben wir bereits weit mehr als 4000 Unterschriften gesammelt.«
Die Initiative »besteht aus vielen verschiedenen Menschen« und werde vom Elan engagierter Aktivist:innen getragen: »Natürlich sind bei uns auch Leute aktiv, die sich vorher schon in anderen Gruppen engagiert haben«, macht Marco Hosemann keinen Hehl aus der Mitarbeit organisierter Linker, »es sind aber auch sehr viele junge Menschen dabei, die sich das erste Mal politisch engagieren«.
Als Heike Sudmann, Abgeordnete der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, vom Autor gefragt wird, ob sie die Volksinitiative unterstützt, ist die Antwort eindeutig: »Ja, nicht nur ich, sondern Die LINKE insgesamt.« Die Fachsprecherin der Linksfraktion für Wohnungspolitik erklärt dem Autor: »Das Abzocken auf dem Wohnungsmarkt muss gestoppt werden. Es wäre zu schön, wenn Mieter:innen erkennen, dass sie nicht wehrlos ausgeliefert sind.«
Die Kampagne des Geheimdienstes kritisiert Heike Sudmann scharf: »Die Verunglimpfung der Aktivist:innen durch den Verfassungsschutz ist nicht nur sachlich falsch, sie ist ein unzulässiger, undemokratischer Übergriff und muss Konsequenzen haben.« Außerdem sei die Frage, wer eigentlich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe – und wer nicht: »Nicht die Enteignung von Wohnungskonzernen ist verfassungsfeindlich, sondern die unkontrollierte, rücksichtslose Profitmaximierung der Konzerne.«
»Hamburg Enteignet« argumentiert sehr klar auf dem Boden des Grundgesetzes: »›Eigentum verpflichtet‹ und ›Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen‹, heißt es dort«, betont Marco Hosemann. »Das Grundgesetz macht Enteignung möglich. Die Realität aber macht sie notwendig. Deshalb werden wir weiter fleißig in ganz Hamburg Unterschriften sammeln und freuen uns über alle, die uns dabei unterstützen. Damit wir uns Hamburg wieder leisten können.«
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