Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2024

von Hermann Dierkes

Die Kommunalwahlen vom 6.10. und die Stichwahlen am 27.10.24 galten als wichtiger Indikator für die politischen Kräfteverhältnisse im Land. Lokale Besonderheiten mischten sich mit nationalen Tendenzen, nicht überall gab es klare Trennlinien zwischen ”Rechts” und Links”. Die Wahlprognosen der seriösen Institute waren weitgehend richtig. Die brasilianischen Wähler wollen demzufolge derzeit ”keine politischen Abenteuer”, was den regierenden kommunalen Konstellationen zugutekam und zu 80 Prozent die Wiederwahl gesichert hat. Jetzt wird interpretiert, welche Folgen das Ergebnis für die nationalen Wahlen in zwei Jahren und auch für Lateinamerika insgesamt haben könnte. Klar ist aber, dass die rechten und extrem-rechten bürgerlichen Parteien wie anderswo auf dem Globus auf dem Vormarsch und die Unterstützung linker Parteien und Wahlalternativen rückläufig sind. Klassenbewusstsein und kollektive Aktion für solidarische und progressive Lösungen sind auf dem Rückzug.

Die dritte Regierung Lula ist seit dem Wahlsieg gegen Bolsonaro im Oktober 2022 in der brasilianischen Präsidialdemokratie im Amt. Sie stützt sich auf ein Bündnis aus der Arbeiterpartei (PT) und weiteren Linksparteien, hat aber keine parlamentarische Mehrheit, sodass sie auf eine wacklige Koalition mit bürgerlichen, rechts von ihr stehenden Kräften, angewiesen ist. Der Bolsonarismus bleibt aber stark, obwohl dem Ex-Präsidenten vom Obersten Wahlgericht wegen krimineller Aktivitäten und dem Sturm auf die Regierungszentren im Januar 2023 für acht Jahre eine Kandidatur verboten wurde.

Die Basis für den Bolsonarismus – der durchaus Ähnlichkeiten mit dem Trumpismus in den USA hat – besteht aus dem grossen Lager der Evangelikalen, die vom Bolsonarismus gezielt benutzt werden, den Grossagrariern, der Mehrheit der Finanzbourgeoisie (im Unterschied zur Industriebourgeoisie, die zu Lula neigt) und allen, die gegen Umweltschutz, linke Politik und vor allem gegen die PT sind.

Obwohl die Regierung Lula das Land international wieder zu einem Faktor gemacht hat, neue Investitionen vor allem im Bereich der ”grünen Industrie” anziehen konnte (allerdings gefährdet aufgrund der anhaltenden politischen Instabilität, auch global), den Korruptionssumpf zurückgedrängt und innenpolitische Erfolge vorzuweisen hat, musste sie auch schmerzhafte Niederlagen und Konzessionen an bürgerliche Kräfte und Rechte hinnehmen.

Beispiele: Lula hat seine sozialpolitischen Vorhaben wieder aufgreifen können (v.a. den Kampf gegen den Hunger, Arbeitsbeschaffung, Wohnungsbau, Mindestlohn usw.). Die seit Jahren fällige Steuerreform ist weitgehend klar, aber sehr abgeschwächt, der Haushaltsausgleich ist im Prinzip erreicht, wenngleich wichtige Ausgaben wie die Hochwasserhilfe außerhalb des Haushalts laufen. Das gilt auch für die sog. Emendas – undurchsichtige (und korrumpierende) Haushaltsmittel an Abgeordnete, um Mehrheiten zu schmieden. Lula wollte sie eigentlich beseitigen, aber aufgrund der Bündnisnotwendigkeiten konnte er sich nicht voll durchsetzen. Immerhin hat das Oberste Bundesgericht Korsettstangen eingezogen und u.a. Transparenz und Rechenschaft bei den Emendas vorgeschrieben, doch der Zugriff der überwiegend rechten Parlamentarier und ihrer Lobbygruppen auf staatliche Gelder ist ganz erheblich. Minister müssen oft berechtigte Forderungen abwehren und sagen: ”Wir haben kein Geld, fragt den Kongress”. Lula hat das Thema bei seinen Wahlkampfauftritten nochmal als „Banditentum“ gegeißelt.

Die Wahlkampagne

Kommunalpolitisch musste die regierende PT vor allem versuchen, die hohen Verluste der beiden letzten Kommunalwahlen auszugleichen. Wesentliche Themen waren Armutsbekämpfung, Förderung der städtischen Peripherien, Umwelt und Klima, Bildung, Gesundheit, Frauenförderung, LGBT-Gleichstellung und Antirassismus.

Die Rechte hat wie immer Fantasien strapaziert, nach dem Motto: ”Bolsonaro hat alles besser gemacht”, während Lula und die Linke zu wenig gäben. Sie hat die Kandidat:innen der Linken mit böswilligen Verleumdungen diffamiert (so den Kandidaten Boulos in São Paulo, der angeblich psychisch krank sei, die Unterstützung der Rauschgift-Banden habe usw.), fundamentalistische Themen wie den Kampf gegen Abtreibung, scheinchristliche Phrasen und stupiden Nationalismus propagiert, aber selbst nur wenige konkrete politische Forderungen aufgestellt.

Links wie Rechts hat es breitere – zum Teil konkurrierende – wahlpolitische Allianzen gegeben. PT, PCdoB und PV-Grüne haben als Föderation (Brasilien der Hoffnung), also auf einer Liste kandidiert, PSOL und die Gruppierung Rede Sustentabilidade ebenfalls, weshalb es zu Konkurrenzkandidaturen kam. Die Linke ist auch in etlichen Fällen mit bürgerlichen, demokratischen Parteien und antibolsonaristischen Kräften Bündnisse eingegangen, wie z.B. in Rio de Janeiro, wo der Spitzenkandidat der PSD Eduardo Paes Lula unterstützt, oder in Salvador da Bahia, wo die PT den Kandidaten der MDB – ohne Erfolg – unterstützt hat. Im wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten São Paulo kandidierte ein linkes Bündnis – vor allem aus PT und PSOL – mit Guilherme Boulos (PSOL) als Oberbürgermeisterkandidat. Er ist derzeit Bundesabgeordneter und kommt aus der Obdachlosenbewegung.

Wie ist die Wahlkampagne gelaufen?
Auf der Strasse war v.a. die Linke wieder aktiv. Die Rechte ist in den „sozialen Medien” viel effizienter, obwohl ihr mit dem zeitweiligen Verbot von Musks X durch das Oberste Bundesgericht aufgrund von dessen systematischen Fake News und der Weigerung, diese zu entfernen, eine Waffe aus der Hand geschlagen wurde. Das wurde von Musk und der Rechten demagogisch als ”diktatorisch” und ”Angriff auf die Meinungsfreiheit” angeprangert.

Schwer herausgefordert ist die Regierung außerdem durch die klimatisch bedingte Trockenheit, die v.a. Natur und Bevölkerung im Amazonasbecken und im Pantanal gefährdet, während im südlichen Rio Grande do Sul endlose Regenfälle schwere Schäden an Immobilien und in der Landwirtschaft angerichtet haben. Die Trockenheit ist von skrupellosen Viehzüchtern/Großagrariern offenbar für Brandrodungen ausgenutzt worden. Polizeiliche Ermittlungen liefen bereits vor den Wahlen in über hundert Fällen. Gegen mögliche Enteignungsmassnahmen, die aus Regierungskreisen ins Spiel gebracht worden waren, hat die Front der Großagrarier im Parlament massiv Druck gemacht.

Ergebnisse der ersten Runde

Gewählt wurde in den 5569 ”Municípios” (Städten und Gemeinden) des Landes. Nach dem Ergebnis mussten am 27.10. in 15 Haupt- und in weiteren 37 Städten Stichwahlen stattfinden.

Das Ergebnis der ersten Runde lässt sich so zusammenfassen: Die bürgerlichen Parteien – v.a. die PSD, die MDB und die PP sowie die bolsonaristische Liberale Partei (PL), der sich Ex-Präsident Bolsonaro angeschlossen hat – haben enorm zugelegt und die Mehrzahl der Kommunen gewonnen. Der Bolsonarismus, nach der Wahlniederlage und dem Putschversuch vom 8.1.23 in der Defensive, bleibt eine starke gesellschaftliche Kraft und hat sich erholt.

Die PT hat sich gegenüber 2020 verbessern können. Sie konnte sich – durch die gemeinsame linke Liste – von 183 Municípios in 2020 auf 248 steigern, wo sie stärkste Kraft ist; sie hat nach der ersten Runde 450 Ratsmandate dazugewonnen und kam auf 3118 Mandate in allen 26 Bundesländern. In den Landeshauptstädten kam sie von 49 auf 61 Ratsmitglieder. Sie kam dort nur in vier Fällen mit ihren Bürgermeister-Kandidaten in die Stichwahl (Cuiabá, Fortaleza, Natal und Porto Alegre), konnte sich aber nur in Fortaleza durchsetzen. Sie erreichte insgesamt in 13 Städten – mehr oder weniger aussichtsreich – die Stichwahl.

Erfreulich ist auf jeden Fall der Erfolg von jungen Linkskandidaten, von Repräsentanten der LGBT sowie von Kandidaten, die direkt von der Landlosenbewegung MST unterstützt wurden; außerdem die erstmalige Wahl einer Indígena als Bürgermeisterin. Die Leitungsgremien der PT haben über das Ergebnis Genugtuung verbreitet, aber die interne Bilanzdiskussion dürfte/müßte kritisch verlaufen. Denn nüchtern betrachtet ist das Ergebnis – auch nach der Stichwahl vom 27.10. – schwach für eine Partei, die führend ist in der Bundesregierung. Vor allem wenn man dagegen hält, dass die PSD sich schon in der ersten Runde von 659 in 2020 auf jetzt 869 steigern konnte und auch MDB, PP und PL klar vor der PT lagen. In São Paulo kam der gemeinsame und von Lula unterstützte Linkskandidat Guilherme Boulos (PSOL) mit einem klaren Programm in die Stichwahl gegen den Oberbürgermeister Nunes von der MDB, der auch die Unterstützung von Bolsonaro hatte. Beide lagen mit knapp 30 Prozent fast gleichauf.

Im südlichen Porto Alegre, bis Anfang der 2000er Jahre 16 Jahre lang von der Linken regiert, Wiege des demokratischen Beteiligungshaushalts und mehrerer Weltsozialforen, gelang dem MDB-Bürgermeister Melo mit 49,72 Prozent fast der Sieg in der ersten Runde. Die Kandidatin der PT, die Bundesabgeordnete Maria do Rosario, kam mit 26,28 Prozent in eine kaum aussichtsreiche Stichwahl. Sie wurde nur zweite in 9 von 10 Wahlbezirken der Stadt. Melo gewann selbst in Stadtbezirken, die von dem Hochwasser im letzten Mai katastrophale Schäden verzeichnen mussten, und obwohl er zu Recht wegen mangelnden Hochwasserschutzes und sozialpolitischer Schweinereien angegriffen wurde. Wahlanalytiker sprechen von einem sog. Stockholm-Syndrom: Reale Erfahrungen der Bevölkerung sind abgekoppelt von ihrer Haltung gegenüber der verantwortlichen Politik. Allerdings ist die Linke im Stadtrat gut vertreten: PT und PSOL mit jeweils fünf Ratsmitgliedern sowie zwei für die PCdoB.

Schlaglichter auf einige bedeutende Städte: In Rio wurde der auch von der Linken unterstützte Paes (PSD) mit 60,47 Prozent in der ersten Runde bestätigt und der Bolsonarist Ramagem klar distanziert. In Belem hat der PSOL-Bürgermeister Edmilson die Wahl verloren, in der Stichwahl standen der MDB-Kandidat gegen einen Bolsonaristen von der PL, ersterer mit den grösseren Chancen. In Belo Horizonte, wo es ebenfalls eine Stichwahl gab, standen ein PSD- gegen einen PL-Kandidat. Der Bolsonarist wurde geschlagen. In Recife hat der populäre, junge PSB-Bürgermeister João Campos – der auch von der Linken unterstützt wurde – mit 78,1 Prozent in der ersten Runde gesiegt, in Salvador da Bahia wurde der Bürgermeister der rechten União ebenfalls mit einem sehr hohen Ergebnis wiedergewählt.

Das Ergebnis der Stichwahl vom 27.10.

51 Städte waren in der Stichwahl. In der bedeutendsten Großstadt Brasiliens, São Paulo, hat die Linke mit ihrem Kandidaten Boulos gegen das vereinte rechte Lager von zwölf Listen verloren. Der amtierende Präfekt Nunes erhielt nach inzwischen feststehendem Endergebnis 59,35 Prozent, Boulos nur 40,65 Prozent der Stimmen. Boulos konnte zwar etwas mehr Wähler als bei der letzten Wahl mobilisieren, blieb aber im wesentlichen an der 40-Prozent-Schranke hängen. Nur in einer Landeshauptstadt, im nördlichen Fortaleza (Ceará), obsiegte der PT-Kandidat Evandro Leitão mit 50,4 Prozent knapp gegen den bolsonaristischen Kandidaten. Bei den Wahlen von 2020 hatte die PT überhaupt keine Landeshauptstadt gewonnen.

Im Bundesstaat Ceará behält die PT übrigens ihre starke Stellung. Die Partei hat neben der Hauptstadt noch über 70 weitere Kommunen und die Landesregierung; der Bildungsminister Camilo Santana stammt aus diesem Bundesstaat. Das Ergebnis für Ceará ist auch aus einem anderen Grund interessant: Die früher einmal starke PDT mit Ciro Gomes an der Spitze ist buchstäblich geschreddert worden, nachdem sie in der Stichwahl für die Rechte und gegen die PT mobilisiert hatte.

Alle anderen Stichwahl-Landeshauptstädte gingen an die politische Rechte. So in Natal, wo die União mit 55,34 Prozent die Kandidatin Natalia Bonavides (PT) schlug, oder im südlichen Porto Alegre, wo die PT-Kandidatin Maria do Rosario mit 38,5 Prozent hinter dem amtierenden Präfekten Melo (MDB) blieb, der 61,5 Prozent erzielte, weil ihn die gesamte Rechte und grosse Teile der Unternehmerschaft – vor allem die Bauindustrie – unterstützten.

Auch in der industriell geprägten, aber inzwischen deutlich abgefallenen ABC-Region um São Paulo, ehemals eine Bastion der PT, ist die politische Rechte vorherrschend. Besonders schmerzlich für die Linke, dass die dortige Stadt Diadema nach vier Amtsperioden (seit 1993) des PT-Präfekten Filippi Junior mit nur 47,41 Prozent an den MDB-Kandidaten Yamaguchi ging, der sich mit 52,59 Prozent durchsetzen konnte. Gegen diesen läuft noch ein Verfahren wegen Verbreitung rassistischer Wahlpropaganda. In der grossen Schlusskundgebung versuchten Lula und Prominenz von PT und linken Bündnispartnern vergeblich zu retten, was nicht mehr zu retten war.

In der ABC-Stadt Mauá, die auch zur Wiege der PT zählt, wurde der frühere Gewerkschaftsführer (CUT Metalurgico), Marcelo Oliveira, mit 54 Prozent wiedergewählt. Er konnte - nach vorläufigem Ergebnis – den Bolsonaristen von der União Brasil schlagen, der 45,85 Prozent erhielt. Ebenfalls erfolgreich war die Linke in der Industriestadt Camaçari (Bahia), wo der PT-Kandidat Luiz Caetano mit 54 Prozent gegen einen Bolsonaristen obsiegte. Erfolg hatten linke Bündnisse und PT-Kandidaten auch in Pelotas (RS), wo Fernando Marroni (PT) mit 50,36 Prozent den vor Ort kaum bekannten Bolsonaristen Perondi knapp schlagen konnte, der unerwartet 49,64 Prozent erzielte.

Marroni kehrt nach zwanzig Jahren wieder in das Amt zurück. Er wurde interessanterweise von der amtierenden (und in der ersten Runde unterlegenen) Bürgermeisterin Paula Mascarenhas sowie dem ehemaligen Bürgermeister und jetzigen RS-Gouverneur Eduardo Leite unterstützt. Leite (PSDB) war vor zwei Jahren in der Stichwahl gegen Onix Lorenzoni – damals Chef des Präsidialamts von Bolsonaro – von der PT unterstützt worden. Man hätte erwarten können, dass er jetzt für Maria do Rosario mobilisiert hätte anstatt für Melo.

In Rio Grande do Sul gewann die Linke außer in Pelotas nur in den Grenzstädten Rio Grande und Bagé. Verbreitet war in RS eine Anti-PT-Stimmung, übertroffen nur von der PT-Ablehnung in Santa Catarina und Paraná. In Curitiba (der Landeshauptstadt von Paraná, das in der Hand der Rechten ist) siegte die Rechte um Pimentel gegen die extrem rechte (und von Bolsonaro persönlich unterstützte) Kandidatin Graeml. Pimentels Vize gehört der PL an. In Cuiabá, der Hauptstadt von Mato Grosso, konnte sich der erfolgversprechende junge PT-Kandidat Lúdio Cabral mit 46,2 Prozent nicht gegen den (bisher unbekannten) Bolsonaristen durchsetzen, der 53,8 Prozent erhielt.

In Olinda (Pernambuco) siegte die vereinte Rechte im Bündnis mit den Evangelikalen mit ihrer Kandidatin Mirella Almeida, die 51 Prozent erhielt gegen den schwarzen und Gay-Kandidaten der PT, Vinicius Castello, der 48 Prozent erhielt, obwohl die Prognosen ihn vorne sahen.

Lageeinschätzung

Die PT regiert nach der Stichwahl allein oder in linken Bündnissen in 252 Kommunen, also in vier mehr als nach der ersten Runde. Die Rechten haben gewaltig zugelegt und liegen zusammengenommen weitaus besser: Allein die PSD (gegründet 2011, Vorsitzender: Kassab) kontrolliert jetzt 887 Kommunen, es folgen MDB mit 856, PP mit 747, die UB mit 578 und die PL mit 516. Von den 51 Städten, die in die Stichwahl gingen, werden jetzt nur sechs von progressiven Parteien regiert (4 PT, 2 PDT. Die PSOL hat gar keine mehr und die der PCdoB und der Grünen sind sehr stark zurückgegangen.).

Hauptgewinner der Kommunalwahl sind die Parteien des sog. Centrão, also Mitte-Rechts und rechts orientierte, wo es Verschiebungen in den Größenordnungen gab (PSD jetzt stabil vor MDB, das 20 Jahre lang führend war), aber in denen fast das gesamte Spektrum der traditionellen Oligarchie Zuhause ist. So sind jetzt 17 Präfekten von den 26 der Landeshauptstädte erklärte Millionäre.

Schwer gerupft wurde die einstmals starke PSDB, die nur noch 274 Rathäuser hat. Vor der PT liegt auch noch die PSB, die eher zum linken Spektrum zählt, mit 309 Kommunen. Der Erfolg der PL-Bolsonaristen ist bei näherem Hinsehen nicht so überwältigend, weil viele ihrer Kandidaten von anderen bürgerlichen Kräften und der Linken geschlagen wurden.

Neu ist, dass die ärmsten Bevölkerungsschichten vermehrt rechts und extrem rechts gewählt haben. Sowohl im Raum São Paulo wie auch im Nordosten – bisher Bastionen der Linken – sind rechte und rechtsextreme Parteien erheblich stärker geworden. Das ist schwer nachvollziehbar, wenn man nur die objektive Interessenlage zum Maßstab nimmt und mit dem fortschrittlichen Angebot und der Politik der breiteren Linken vergleicht bzw. dem offenkundigen Versagen der Rechten bzw. ihren antisozialen Maßnahmen.

Neu ist auch ein enormer Anstieg der Nichtteilnahme an den Wahlen: Laut Oberstem Wahlgericht waren das 21,68 Prozent im Landesdurchschnitt in der ersten Runde und 29,26 Prozent in der zweiten. Es sieht noch schlechter aus, zählt man die Abgabe von leeren Stimmzetteln hinzu und das Ungültigmachen des Stimmzettels. Zusammengenommen wären das z.B. in Porto Alegre mehr als die Stimmen für den siegreichen Kandidaten Melo. Wenn die PT und die gesamte politische Linke die Alarmzeichen missachtet, keine ernsthafte Aufarbeitung der Ergebnisse und keine Kurskorrekturen vornimmt, diese Entwicklung anhält und die Rechte mehr Appetit bekommt, läuft die Lula-Regierung Gefahr, gestürzt zu werden – entweder durch einen Bruch des wackligen Bündnisses in Kongress und Senat und ein folgendes Mißtrauensvotum oder bei den nächsten allgemeinen Wahlen in 2026.

Ich danke meinen brasilianischen Freunden Antonio Andrioli, Lise Kleber und Paulo Leboutte für Rat und Informationen

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