Harte Tarifverhandlungen bei ARD und ZDF
von Maximilan Schröder
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk rumort es. 2024 gab es mehrere Warnstreiks. Die Gewerkschaften wollen den Lohnverlust durch die hohe Inflation der vergangenen Jahre begrenzen. Ein schwieriges Unterfangen. Denn die Geschäftsleitungen wollen sparen. Und ARD und ZDF stehen auch von außen unter Druck.
ZDF-Moderator Daniel Pontzen schaut etwas überrascht in die Kamera. »Wie ich gerade vor wenigen Sekunden gehört habe, gibt es einen Streik.« Ursprünglich sollte die zweite Stunde des gemeinsamen Mittagsmagazins von ARD und ZDF beginnen. Doch am 26.September fällt sie unerwartet aus. »Wir geben nach Mainz an die Sendeleitung und lassen uns selbst überraschen, was es da jetzt zu sehen gibt bei uns.«
Es folgt eine etwas hilflos wirkende Kameraeinstellung des Studios von oben, bei der zugeschalteten ARD wechselt die Senderegie schließlich zur Tagesschau. Doch statt eines Sprechers ist auch dort nur das blaue Logo der Nachrichtensendung zu sehen, denn beim NDR wird ebenfalls gestreikt. Blöd gelaufen. Am Ende müssen sich die Sender mit Wiederholungen aushelfen. Das Chaos im Live-Fernsehen ist ein sichtbarer Erfolg der Warnstreiks. Eine wachsende Zahl von Beschäftigten ist sauer.
Forderungen wie im öffentlichen Dienst
Jede Rundfunkanstalt hat ihren eigenen Tarifvertrag. Aber die Hauptforderungen der Gewerkschaften sind überall ähnlich: Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) fordert, angelehnt an den öffentlichen Dienst, 10,5 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Damit die Lohnschere durch prozentuale Erhöhungen nicht zu weit auseinandergeht, sollen es mindestens 500 Euro mehr pro Monat sein. Davon profitieren die unteren Lohngruppen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden (VRFF) im Deutschen Beamtenbund fordern ähnliches.
Für den Westdeutschen Rundfunk Köln (WDR) rechnet Ver.di vor: Seit Mai 2021 seien die Verbraucherpreise um 23 Prozent gestiegen. Die Gehälter stiegen in der Zeit aber nur einmal: Ende 2022 um magere 2,8 Prozent. Es ist also gehörig Druck im Kessel. Der Kaufkraftverlust ist enorm. Das trifft bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht nur die unteren Lohngruppen empfindlich, sondern zunehmend auch den Mittelbau.
Der Mittelbau ist besonders streikbereit
In den ARD-Anstalten, beim ZDF und der Deutschen Welle wurde in diesem Jahr wohl so viel gestreikt wie noch nie. Vor allem der Mittelbau legte die Arbeit nieder: Dazu gehören Mediengestalter:innen oder Cutter:innen, die die Fernsehbeiträge schneiden.
Bei WDR und SWR stiegen Cutter:innen und Mediengestalter:innen mit rund 2900 Euro brutto pro Monat ein, beim NDR sind es 3160 Euro. Vor allem die Jüngeren spüren die Inflation, denn sie starten in diesen Gehaltsgruppen.
Die Streikbeteiligung bei den Redakteuren blieb hingegen eher verhalten. Manche argumentieren sogar gegen die Warnstreiks. Die Sender seien durch die überzogenen Forderungen in Gefahr. Und außerdem: »Uns« gehe es doch eigentlich immer noch ganz gut, anders als anderen Teilen der Gesellschaft. Und was habe der Arbeitskampf für eine Außenwirkung, das sei doch Wasser auf die Mühlen der Rundfunkgegner.
Beim WDR liegt das Einstiegsgehalt für Redakteur:innen bei rund 4260 Euro pro Monat. Allerdings sind die meisten Journalist:innen nicht festangestellt, sondern sog. »arbeitnehmerähnliche Freie«. Ein unsicheres Konstrukt, das teils erhebliche Nachteile gegenüber den Festangestellten mit sich bringt und durch die berufliche Unsicherheit die Streikbereitschaft drückt.
Freie als Mitarbeitende zweiter Klasse
In vielen Rundfunkanstalten bekommen die Freien nicht wie die übrigen Festangestellten ein monatlich festes Gehalt. Sie müssen sich stattdessen von Auftrag zu Auftrag hangeln und werden pro Beitrag oder Artikel bezahlt. Nur mit Glück sind sie ab und zu in einer festen Schicht eingeteilt. Wer sich mit den Sendeplanungs-Redakteur:innen gut stellt und schnell arbeitet, kann bei diesem Modell allerdings auch absahnen. Doch das tun wohl die wenigsten. Stattdessen führt die unsichere Bezahlung zu Konkurrenz um Aufträge unter den Reporter:innen.
Krank sollten die Freien am besten gar nicht werden, denn dann droht in manchen Sendeanstalten ein Honorarausfall. Der NDR zahlt erst ab dem vierten Krankheitstag einen Zuschuss zu den Leistungen der Krankenversicherung. Die Freien bekommen dadurch bestenfalls bis zu 75 Prozent des eigentlichen Honorars. So ist es üblich, dass sie auch krank zur Arbeit kommen.
Fast überall Tarifverhandlungen
Es ist eine schwierige Tarifrunde. Beim WDR, der größten ARD-Rundfunkanstalt, wird genau wie bei den anderen drei Großen Südwestrundfunk, Norddeutscher Rundfunk und Bayerischer Rundfunk bereits seit Anfang des Jahres verhandelt. Beim BR etwa gab es bis Mitte November zehn Verhandlungsrunden – wie bei den anderen immer noch ohne Ergebnis.
Im Laufe des Jahres kamen noch Radio Bremen, der Mitteldeutsche Rundfunk, das ZDF und die Deutsche Welle dazu. Auch beim Saarländischen Rundfunk ist inzwischen der Tarifvertrag ausgelaufen, Verhandlungen gab es dort allerdings bis November noch keine. Und der vom Spardruck bereits schwer gezeichnete Hessische Rundfunk hat im Dezember seine erste Verhandlungsrunde. Überall drohen ähnlich mühsame Verhandlungen.
Die Geschäftsleitungen argumentieren überall ähnlich: Es sei kein Geld da, schuld seien vor allem die zu niedrigen Rundfunkgebühren, festgelegt von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF).
Kommission empfiehlt Erhöhung
Die KEF mit Sitz in Mainz setzt sich aus 16 Sachverständigen zusammen, jedes Bundesland ernennt einen Vertreter für fünf Jahre. Die Rundfunkanstalten melden ihren Finanzbedarf an, den die Sachverständigen prüfen und eine Empfehlung errechnen. Doch zuletzt lagen die Empfehlungen deutlich unter den Forderungen der Sendeanstalten. Ab 2025 sollen die Rundfunkgebühren um 58 Cent pro Monat steigen. Doch diese Erhöhung ist den Rundfunkanstalten zu niedrig.
Es muss also weiter Programm abgebaut werden. Und das, obwohl gerade der Hörfunk schon seit Jahrzehnten stetig Inhalte streicht und viele Programme immer mehr zum Dudelfunk verkommen. Eine tiefergehende Berichterstattung findet oft nur noch in den Infowellen statt. Darunter leidet vor allem die regionale Berichterstattung, denn dafür sind immer weniger Sendestrecken vorgesehen. Besonders dramatisch ist die Situation beim Hessischen Rundfunk, wo drei der sechs Hörfunkwellen bis 2032 geschlossen werden sollen.
Bisher konnten sich die Bundesländer noch nicht auf die Erhöhung der Rundfunkgebühren einigen, die von der KEF empfohlen wurde. Nach bisherigen Regeln müssen sie der Empfehlung einstimmig zustimmen. Vor allem die Konservativen weigern sich, etwa die CDU in Sachsen-Anhalt und die CSU in Bayern. Aber längst ist auch die SPD auf den Kurs eingeschwenkt. Die Öffentlich-Rechtlichen müssten dringend sparen. Es wird wohl so kommen, wie bereits 2021: Die Öffentlich-Rechtlichen waren damals vors Bundesverfassungsgericht gezogen und bekamen dort Recht.
Doch die KEF dient in den Verhandlungen als wichtiges Argument, um Lohnerhöhungen abzulehnen. Dabei gilt eigentlich die Tarifautonomie für Sender und Gewerkschaften. Auch die KEF muss sich nach den Ergebnissen der Verhandlungen richten. Doch in der Praxis üben sich die Geschäftsleitungen im vorauseilenden Spargehorsam.
Sparzwang per Reformstaatsvertrag
Doch es droht weiteres Ungemach: Die Länder arbeiten an einem Reformstaatsvertrag und haben im Oktober einen ersten Entwurf beschlossen. Die Pläne sehen weitere drastische Sparmaßnahmen vor: 16 Radiosender sollen ARD-weit gestrichen werden, fünf der zehn Fernseh-Spartensender sollen bei ARD und ZDF schließen.
Außerdem sind die Landespolitiker auf die angeschlagenen Zeitungsverlage zugegangen, die seit Jahrzehnten mit sinkenden Abozahlen zu kämpfen haben. Sie haben deshalb strengere Regeln für Online-Texte vorgesehen: Ein Artikel darf nur Infos verarbeiten, die bereits in Radio oder Fernsehen gesendet wurden. Wenn es schnell gehen muss, dürfen auch ohne diesen Sendebezug künftig nur noch kurze Eilmeldungen veröffentlicht werden. Das wäre wohl das Ende von Online-Angeboten wie tagesschau.de oder BR24.
Das sind schwierige Bedingungen für die Tarifverhandlungen. Bei fast allen Rundfunkanstalten dürften sich diese noch bis ins nächste Jahr hinziehen. Ver.di hatte sie im SWR sogar zwischenzeitlich für gescheitert erklärt und eine Schlichtung gefordert. Doch der Sender weigerte sich beharrlich.
Nun einigten sich beide Seiten überraschend doch: Es soll noch im Dezember 4,71 Prozent mehr geben und Anfang 2026 nochmal 1,23 Prozent. Die Laufzeit liegt bei 25 Monaten. Dazu gibt es eine jährliche Sonderzahlung, die sozial gestaffelt ist. Das Ergebnis liegt deutlich unter dem im öffentlichen Dienst. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland wird weiter schleichend entwertet.
Der Autor ist beim öffentlich rechtlichen Rundfunk tätig.
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