Aus einem anständigen Betrieb wurde ein Sklavenlager
von Jochen Gester
Mit der Gründung einer neuen Hafenarbeitergewerkschaft versuchen sich die Kollegen gegen den Marsch in die Prekarität zu wehren.
Unter dem Titel «Wir sind der GHB – Von den Schwierigkeiten des Widerstands in der Krise» berichtete die SoZ in der Novemberausgabe 2009 über die Folgen der 2008 einsetzenden massiven Auftragseinbrüche in den Bremer Häfen. Sie sanken auf kaum noch ein Drittel des Vorjahres. Nachdem auch der Übergang zur Kurzarbeit und die Nichtverlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse sowie die Anhebung der Umlagen durch die GHB-Träger nicht ausreichten, gab es für 1000 der 2700 Beschäftigten die Kündigung. Der Beschäftigungssicherungsvertrag, der die Unterschrift von Ver.di trägt, verordnete den Verbleibenden krasse Lohnsenkungen und eine deutliche Prekarisierung der Arbeitsbedingungen.
Es war vor allem die autoritäre Verordnung dieser «Krisenlösung» ohne offene Diskussion mit den Betroffenen, die Empörung und Widerstand auslöste. Es bildete sich ein Komitee «Wir sind der GHB», dessen Hauptforderung ein «fairer und vernünftiger Sozialplan» war. Besonders sauer waren viele Arbeiter darüber, dass Ver.di für dieses Programm des Sozialabbaus ihre Unterschrift hergegeben hatte. Einige hundert Gewerkschaftsmitglieder sollen deshalb ihr Mitgliedsbuch abgegeben haben.
Der eigentliche Motor des Marschs in die Prekarität sind Konzerne wie Daimler oder VW, die in den Häfen die Logistikdienstleistungen in Anspruch nehmen. Sie möchten die Krise gerne nutzen, um das Konstrukt Gesamthafenbetriebsverein (GHB) zu beseitigen. Der GHB ist ein Pool von Arbeitskräften, der allen Hafenbetrieben zur Verfügung steht, er wurde einst geschaffen, um die Arbeitsverhältnisse für temporär eingesetzte Arbeiter zu verstetigen und abzusichern. Sie haben dieselben Tarifverträge wie die regulär Beschäftigten. Die in heftiger Preiskonkurrenz zueinander stehenden Autokonzerne wollen sich dieser sozialen Standards entledigen und die Logistikaufgaben durch Subunternehmen mit vielen Zeitarbeitern verrichten lassen. Sie drohen den nicht absenkungsbereiten Hafenstandorten mit dem Entzug der Aufträge.
Diesem Druck beugen sich im Normalfall auch die regierenden Parteien und Verwaltungen und die in politische Ämter strebenden Gewerkschaftsfunktionäre. Und diese tun es mit dem Risiko, dabei viele Mitglieder zu verlieren. Ver.di hat im GHB Arbeitgeberfunktionen, obwohl der GHB kein Unternehmen, sondern ein mitbestimmungspflichtiger Verein ist, der jeweils zur Hälfte aus Ver.di-Vertretern und Abgesandten des Unternehmensverbands Bremer Häfen besteht.
Konkurrenz von BLG-Logistics
Von Bedeutung für das Verständnis der laufenden Entwicklung ist auch, dass sich die BLG-Logistics als größter Arbeitgeber der Region das Anforderungsprofil der beauftragenden Konzerne zu eigen gemacht hat und eine Art «Kostenführerschaft» anstrebt, die sich dadurch qualifiziert, dass ehemalige Tariflöhne von 13 Euro auf 6–8 Euro abgesenkt werden und der GHB nun die Übernahme dieser «Errungenschaft» einfordert. Dazu passt auch das Interesse der regierenden Rathausparteien – sie verwalten die 50,4%ige Senatsmehrheit am GHB –, den GHB nicht zu bezuschussen, sondern umgekehrt, über ihn Mittel zur Haushaltssanierung abzuzweigen.
Das neue Arbeitsregime in den Logistikzentren der Häfen ist hart und geht an die Substanz. Auch wenn in einem Konsolidierungskonzept des GHB seine Bedeutung für den Erhalt des sozialen Friedens beschworen und die Übernahme von Unternehmerrisiken herausgestrichen wird, ist es offensichtlich, dass die Angst vor Unfrieden in der Oberklasse nicht sehr groß ist. Die «Wirtschaftsführer» teilen fast durchweg die Einschätzung, dass ihre neuen Methoden, den Arbeitsfrieden zu erzwingen, erfolgreicher und billiger sind, als die kostspieligen Methoden der Vergangenheit.
Ein Arbeiter im BLG-Logistik-Center in Bremen beschreibt den Unterschied zwischen früher und heute im Online-Forum «Bremen macht Feierabend» so:
«Als ich vor Jahren hier angefangen habe, war alles anders. Wir waren alles Kolleginnen und Kollegen. Die Arbeit hat Spaß gemacht, wir haben zum Teil sieben Tage in der Woche gearbeitet, es hat uns nichts ausgemacht, wir wurden gut behandelt, der ehemalige Chef hat dafür gesorgt, dass wir immer gut versorgt waren, und es gab auch mal ein Dankeschön. Und wir haben dabei auch noch viel Geld verdient. Heute sollen wir für 8 Euro die Stunde knüppeln, dürfen nicht miteinander reden, und wenn wir pinkeln müssen, haben wir uns zu beeilen. Wie ich hier anfing, waren wir nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde. Die haben es in zehn Jahren geschafft, aus einem anständigen Betrieb ein modernes Sklavenlager zu machen.»
Contterm
Einige Insassen des «modernen Sklavenlagers» wollen sich damit nicht abfinden und versuchen sich zu wehren. Ein Teil von ihnen hat sich nach der Enttäuschung über Ver.di der Gewerkschaft Contterm angeschlossen, da der DGB und die IG Metall ihnen die Unterstützung verweigerten. Die Bremer hatten die Obhut einer bereits anerkannten Organisation auch deshalb gesucht, um die komplizierten Hürden zu umgehen, die das Arbeitsrecht hierzulande vor der Anerkennung einer neuen Gewerkschaft aufrichtet.
Doch weil Contterm eine Gliederung der sog. Christlichen Gewerkschaften ist und ihre neuen Aktivisten nicht in den Ruf kommen wollten, gelbe Gewerkschaften zu unterstützen, machten sie sich zu Beginn dieses Jahres unabhängig und agieren jetzt ähnlich wie UFO oder Cockpit. Ihre Gewerkschaft hat gegenwärtig in Bremen und Bremerhaven etwa 200 Mitglieder. Sie möchte sich auf andere Häfen ausdehnen und will auch Mitglied der ITF (Internationale Transportarbeitergewerkschaft) werden. Erfolgreich verliefen auch die Klagen der Gekündigten gegen die in ihren Augen fehlerhafte Sozialauswahl bei der Entlassungswelle. Die Kläger müssen wieder eingestellt werden.
Die jüngst durchgeführte Betriebsratswahl dokumentierte die Unzufriedenheit der Mehrheit der Belegschaft mit dem Krisenmanagement des langjährigen Betriebsratsvorsitzenden: Eine oppositionelle Liste «Kollegen für Kollegen» gewann die Wahl mit 444 Stimmen. Sie erhielt 8 Sitze, während die Liste des Ex-Vorsitzenden Peter Frohn mit 296 Stimmen nur auf 5 Mandate kam. Zwei Kollegen wurden über die Liste der Contterm mit 120 Stimmen in den Betriebsrat gewählt und wollen eng mit der neuen Mehrheitsliste zusammenarbeiten.
Doch bei allem Fortschritt lässt sich nicht übersehen, dass die Haltung, vor allem die eigene Haut zu retten, ohne an die zu denken, die über die Wupper gehen, bei einem Teil der Belegschaft Wunden gerissen haben, die eine Verständigung schwer machen.
Einer der langjährigen Aktivisten des GHB antwortete kürzlich einem älteren Kollegen, der den Schulterschluss der wohlmeinenden Kräfte in den gespaltenen Gewerkschaftslagern als Gebot der Stunde empfahl, hier gebe es Sieger und Verlierer. Während die gekündigten Hafenarbeiter in der Auseinandersetzung 2008-11 fast alle wieder in ihre Rechte eingesetzt worden wären, seien die Beschäftigten der «Distribution Center» leer ausgegangen. Sein Resümee aus all diesen Erfahrungen: «Ich kenne momentan zwar Leute, die eine Riesenwut haben, aber keine kämpferischen Gewerkschafter.»
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