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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2022

Tarifvertrag öffentlicher Dienst der Länder
von Angela Bankert, Helmut Born und Jürgen Senge*

Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst der Länder hat sehr unterschiedliche Reaktionen in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit hervorgerufen. Aus den betroffenen Bereichen kommt häufig Kritik, vor allem von den angestellten Lehrer:innen und aus dem Gesundheitswesen.

Wieder einmal wurde die Forderung nach gleicher Bezahlung von angestellten Lehrer:innen unter den Teppich gekehrt und eine generelle Lohnerhöhung im Gesundheitswesen nicht erreicht. Lediglich verbesserte Zulagenregelungen für bestimmte Bereiche wurden durchgesetzt.
Sicher sind manche Mitglieder mit dem Abschluss zufrieden, müssen sie doch nicht bei möglichen unwirtlichen Temperaturen auf die Straße gehen, um für ihre berechtigten Forderungen zu streiten und zu streiken. Das ist für sie der einfachere und bequemere Weg. Aufgeklärte und verantwortliche Funktionär:innen sehen den Tarifabschluss weitaus kritischer. Tariffragen sind schließlich auch immer Machtfragen, und wenn die Gewerkschaftsführungen auf Bundesebene und in den Betrieben es nicht schaffen, ihre Mitglieder zu mobilisieren, ist schnell Schicht im Schacht.
Die Laufzeit wurde auf 24 Monate (1.10.21–30.9.23) festgelegt, obwohl 12 Monate gefordert waren. Wie in allen Tarifrunden der letzten Jahre akzeptierten die Gewerkschaften die Bedingung der «Arbeitgeber» nach besser planbaren Laufzeiten. Schon in der Vergangenheit gelang es durch solche Abschlüsse nicht, die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen, ganz zu schweigen davon, einen größeren Anteil am Gesamtvermögen zu erringen. Bei einer aktuellen Inflationsrate um die 5 Prozent und nicht absehbarer Preisentwicklung ist das dieses Mal noch fataler.

Der Trick mit der Corona-Prämie
Die Tarifrunde verlief nach den gewohnten Ritualen. Diesmal war für die großen Krankenhäuser die aktivste Rolle vorgesehen. Viele Unikliniken haben mehrere Tage «gewarnstreikt». Das ist, vor allem in Pandemiezeiten, bemerkenswert. Viele Beschäftigte sind nicht mehr bereit, die schlechten Arbeitsbedingungen hinzunehmen.
Eine prozentuale Erhöhung der Tarifeinkommen um 2,8 Prozent wurde erst zum 1.12.22 vereinbart. Für den Zeitraum vom 1.10.21 bis 30.11.22 gibt es eine Einmalzahlung. Die sog. Corona-Prämie von 1300 Euro wird als einmalige Nettozahlung Anfang 2022 ausgezahlt. So werden keine Beiträge für die Sozialversicherungen abgeführt und keine Lohnsteuer gezahlt.
Die Gewerkschaftsleitungen teilen die 1300 Euro gerne durch 14 Monate, was einer monatlichen Nettoerhöhung von 92 Euro entspricht. Das sind bei einem Nettoeinkommen von 2000 Euro immerhin 4,6 Prozent mehr. Wir halten solch eine Argumentation und diesen Weg aber für falsch.
Erstens wird hier die Corona-Prämie, die ursprünglich auf eine politische Entscheidung für bestimmte, in der Pandemie besonders herausgeforderte Bereiche zurückgeht, für die Tarifpolitik eingesetzt. Eine lineare Erhöhung, am besten eine Festgelderhöhung, wirkt sich direkt in allen Tarifgruppen aus.
Zweitens werden mit solch einer Regelung die Sozialkassen geschwächt. Das wirkt sich unmittelbar auf die zukünftige Rentenentwicklung aus.
Drittens ist es eine Entlastung für die Haushalte der Länder, da hiermit zusätzliche Forderungen, z.B. im Gesundheitswesen, abgewehrt werden und keine Sozialversicherungsbeiträge anfallen.
Für die Beschäftigten im Gesundheitswesen wurde eine Erhöhung des Monatseinkommens um 300 Euro gefordert. Es gibt aber nur eine Erhöhung der Zulagen für einige wenige Bereiche zwischen 70 und 220 Euro ab dem 1.Januar 2022. So erfreulich das auch ist: Für die große Mehrheit der Beschäftigten bleibt es bei den oben genannten Änderungen. Die Krankenhäuser haben bewusst auf solch eine Regelung hingearbeitet, um damit einer Welle von Abwanderung der Beschäftigten in diesen Bereichen vorzubeugen.
Ritualisiert ist mittlerweile auch das Schönrechnen von mageren Ergebnissen. Damit ist niemandem gedient. Ehrlicherweise müsste man sagen: Wenn bei drei vereinbarten Verhandlungsrunden ein Abschluss nach zwei eintägigen Warnstreiks und ohne längere Kampfmaßnahmen stattfindet – dann ist eben nicht mehr drin.

Großer Unmut im Bildungsbereich
Für den Bildungsbereich standen keine gesonderten Zulagen zur Verhandlung, hier bringen die Ergebnisse dem Lehrpersonal an Schulen und Hochschulen nur Reallohnverluste. Besonders großer Unmut herrscht über die lange Laufzeit. Zu den eingeforderten Tarifvertragsverhandlungen für die studentischen Hilfskräfte gab es lediglich eine Gesprächszusage der Arbeitgeber.
Die GEW-Mobilisierung ist im Verlauf der letzten Ländertarifrunden schwächer geworden. Denn maßgeblich tragen die angestellten Lehrkräfte die Streiks, sie werden aber nach wie vor deutlich schlechter bezahlt als ihre verbeamteten Kolleg:innen. Tarifiert ist dies seit ein paar Jahren im Tarifvertrag Entgeltordnung. Die GEW ringt seitdem mit den Länderarbeitgebern um substanzielle Angleichungsschritte – allerdings bisher nur auf der Gesprächsebene.
Um eine angemessene Entgeltordnung für angestelltes Lehrpersonal zu erreichen, müsste die GEW eigenständig streikfähig werden. Weder Ver.di und schon gar nicht der Beamtenbund (der die schlechte Entgeltordnung als erster unterzeichnet hat) werden dies für die GEW erledigen. Solange die GEW dafür keine ernsthaften Vorbereitungen trifft, wird sie von den öffentlichen Arbeitgebern kaum ernst genommen werden und in den Länderrunden nur einen bescheidenen Beitrag leisten können.
Schon bald stehen die nächsten Tarifrunden im öffentlichen Dienst an. Die Mitglieder sollten sich Gedanken machen, wie sie gewerkschaftliche Ziele besser durchsetzen können. Abschlüsse, bei denen nicht einmal die Absicherung der Einkommen erreicht wird, untergraben das Vertrauen der Mitglieder. Damit die Gewerkschaftsvorstände nicht umstandslos ihre Vorstellungen von Verlauf und Ergebnis des Arbeitskampfs durchsetzen können, braucht es stärkere Kontrollrechte der Mitglieder. Hier kann von der Berliner Krankenhausbewegung viel gelernt werden.

*Angela Bankert ist Mitglied der GEW, Helmut Born und Jürgen Senge Mitglied von Ver.di NRW und der Ver.di-Linken.

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