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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2024

Aus der Ukraine sind neue Töne zu hören
von Angela Klein

Das Onlineportal Defend Democracy berichtete am 19.Juli von zunehmenden, auch gewaltsamen Protesten gegen die Rekrutierung neuer Soldaten. Nachstehend eine Zusammenfassung.

Im Mai dieses Jahres hat das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Mobilisierung von Soldaten verstärken soll. Wir erinnern uns: Dies folgte auf die Feststellung nach dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023, dass der ukrainischen Armee nicht nur die Waffen, sondern auch die Soldaten ausgehen. Gleichzeitig gab es Unmut darüber, dass ukrainische Männer, die sich das leisten können, sich vielfach ins Ausland abgesetzt haben, um dem Kriegsdienst zu entgehen.
Mit dem Gesetz wollte Selenskyj dem einen Riegel vorschieben. Alle Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren sind seitdem verpflichtet, immer einen Militärausweis bei sich zu tragen. Sie können jederzeit vorgeladen werden; eine Frist für die Demobilisierung gibt es nicht. Das Rekrutierungsalter war schon vorher von 27 auf 25 Jahre gesenkt worden.

Rekruten fangen
Die Maßnahmen, neue Soldaten zu bekommen, werden härter: Männer werden auf der Straße aufgegriffen, in Lieferwagen gestopft, geschlagen und außergerichtlich festgehalten, bis sie sich der Einberufung unterwerfen – ein Zeichen dafür, dass die Kriegsbegeisterung aus den Anfangstagen abnimmt und der Widerstand gegen Kriegsdienst zunimmt.
Dies äußert sich nun offenbar auch in handfesten Widerstandsaktionen. Das Onlineportal berichtet von mehrfachen Brandschlägen gegen Autos von Mitarbeitern von Rekrutierungszentren, sogar von einem versuchten Brandanschlag auf ein Rekrutierungszentrum sowie von Sabotageanschlägen auf Eisenbahn- und Stromnetze und anderer Infrastruktur. Odessa soll ein Zentrum solcher Aktionen sein, Vorfälle wurden aber auch aus Winnyzja, Rowno, Dnipro und Charkiw, ja sogar aus der Stadt Busk in der Region um Lwiw im Westen der Ukraine gemeldet. Täglich würden Männer im kampffähigen Alter aus der Ukraine versuchen, über die Grenze ins benachbarte Ungarn, Polen, Rumänien oder Moldawien zu entkommen. Verschärft wird die Lage durch die nach wie vor grassierende Korruption, die dazu führt, dass Männer sich freikaufen können.
Die Meldungen werden von Statistiken unterstützt. Ukrainische Medien hätten im Juli unter Berufung auf offizielle Regierungsangaben berichtet, dass die Einberufungsämter seit Februar 2022 417000 Wehrdienstverweigerer gemeldet haben, davon 316100 allein im Zeitraum 2023 bis 2024. Ein Hotspot der Verweigerung soll dabei die Westukraine gewesen sein.

Stimmungsbarometer
Es scheint auch keine Schande mehr zu sein, sich der Wehrpflicht zu entziehen. Eine Umfrage des Rasumkow-Zentrums, ein angesehener Think Tank für öffentliche Politik in der Ukraine, habe ergeben, dass 46 Prozent der Ukrainer es nicht als »beschämend« empfinden, sich der Mobilisierung zu entziehen, 29 Prozent fänden es beschämend, 24,8 Prozent fänden die Frage schwer zu beantworten.
Derselben Umfrage zufolge waren 44 Prozent der Befragten der Meinung, es sei Zeit für Friedensgespräche mit Russland; 35 Prozent waren dagegen und 21 Prozent unentschieden.
Das ist immer noch keine absolute Mehrheit, aber schon deutlich mehr als im vergangenen Jahr – die Januarausgabe 2024 der SoZ zitierte noch einen Artikel aus Le Monde Diplomatique, der berichtete, 24 Prozent würden den Kampf trotz anhaltender Besatzung einstellen.
Auch aus persönlichen Gesprächen in diesem Sommer gewann die Autorin des vorliegenden Artikels den Eindruck, dass die Hoffnungen sich verstärkt auf eine Ende der Kampfhandlungen richten. Die Aussicht, dass sich der Krieg »noch lange hinziehen« soll, wie in den westlichen Hauptstädten verkündet wird, gerät mehr und mehr zu einem Alptraum.
Das war absehbar. Auf Dauer ist keine kapitalistische Klassengesellschaft in der Lage, Millionen von Menschen zu motivieren, für die Interessen von Oligarchen und einem aufstrebenden Mittelstand zu kämpfen, der an die Fleischtöpfe will, während sie selber nur den Blutzoll zu entrichten haben, Arbeitsplatz und Lohn verlieren und das Land ihnen absehbar keine Zukunftsaussichten bietet. Das Portal zitiert einen ehemaligen ukrainischen Soldaten mit den Worten, die meisten Rekruten seien demoralisiert und fragten sich, warum sie für ein Land kämpfen sollten, »das ihnen in ihrem ganzen Leben nichts als ein Maschinengewehr gegeben hat«.
Diese Tendenz verdient es, massiv befördert zu werden, vor allem dadurch, dass wir soziale Kämpfe gegen die Regierung Selenskyj unterstützen.

Quelle: www.defenddemocracy.press/odessa-leads-violent-resistance-to-mobilization-as-poll-shows-ukrainians-sympathy-for-draft-dodgers/.

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